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30.10.06 Richard Gschwantl: “Fischbänke des Marktes Komarowka sind reicher als in Hamburg”
“Richard, zuerst erzählen Sie bitte ein bisschen von sich selbst”.
“Ich wurde in Österreich geboren, in einem Ort etwa 60 Kilometer von Salzburg entfernt. 1986 zog ich zu meiner Frau nach Westdeutschland. Vorher hatte ich vier Jahre die Kochkunst in einer — meiner Meinung nach — der besten Hotelwesenschulen in Salzburg erlernt. An einer und derselben Stelle hielt ich mich nicht lange auf und setzte meine Lehre bei den besten deutschen Köchen fort”.
“Wie sind Sie in Minsk hingeraten?”
“In vieler Hinsicht zufällig. Im Herbst vorigen Jahres erblickte ich in einer deutschen Zeitung eine Anzeige darüber, dass das Internationale Bildungszentrum in der belarussischen Hauptstadt für sein Restaurant “Westfalen” nach einem Koch mit guten Kenntnissen der Küche nämlich des Landes Nordrhein-Westfalen sucht. Ich bekam Interesse an dieser Anzeige und machte einen Anruf. Der Vorschlag schien mir beachtungswert zu sein — nicht nur wegen der finanziellen Frage, sondern auch wegen einer Möglichkeit, ein unbekanntes Land zu sehen, seine Traditionen, Bräuche, insbesondere die Kochkunst dieses slawischen Volkes kennen zu lernen.
“Was haben Sie zu diesem Zeitpunkt über Belarus gewusst?”
“Sehr wenig. Hauptsächlich waren es einige im Westen verbreitete, nicht besonders schmeichelhafte und wenig wirklichkeitsgetreue Klischees über das Leben in den Republiken der ehemaligen Sowjetunion. Ich wusste, dass Belarus zwischen Russland und Polen liegt, kannte noch einige allgemeine Informationen”.
“Ist somit die Reise nach Minsk gewissermaßen ein Abenteuer für Sie?”
“Einerseits ja. Andererseits sehe ich meinen Aufenthalt hier als eine Art kulturellen Austausches zwischen dem deutschen und belarussischen Volk an. Für mich ist die Bekanntschaft mit Ihrer Esskultur, mit Küchenrezepten der Nationalgerichte, mit Besonderheiten der hiesigen Küche sehr wichtig”.
“Und was ist der Haupt-zweck Ihrer Einladung nach Minsk?”
“Wenn das Restaurant den Namen ‚Westfalen’ führt, so soll sich seine Speisekarte von den anderen Minsker Restaurants in erster Linie durch die Gerichte unterscheiden, die dem Land Nordrhein-Westfalen eigen sind. Somit ist meine Aufgabe, Belarussen nämlich mit der westfalischen Küche bekannt zu machen, ihnen das anzubieten, was sie nirgendwo mehr in der Stadt kosten können. Und auf diese Weise werden fürs Restaurant mehr Besucher gewonnen. Das ist ein modernes Marktherangehen. Meines Erachtens sollte jedes Luxusrestaurant, wie zum Beispiel “Westfalen” ihre eigene Geschäftsstrategie erarbeiten. Anders gesagt, man sollte eine feste Speisekarte haben und zusätzlich bestimmte kulinarische Aktionen durchführen. So haben wir in “Westfalen” zu Neujahrsfeiern eine Weihnachtsgans-Dekade veranstaltet. In der nächsten Zeit haben wir vor, unsere Besucher mit leichteren Gerichten bekannt zu machen, insbesondere mit Salaten. Und im Sommer, in den Tagen der Fußballmeisterschaft in Deutschland werden wir noch eine kulinarische Sonderaktion durchführen”.
“Ihre ersten Eindrücke über Belarus und dessen Hauptstadt?”
“Am 20.November vorigen Jahres kam ich in Ihre Hauptstadt. Sie hat mir sehr gefallen — sauber, gemütlich, gastfreundlich. Ich habe sechs Arbeitstage pro Woche und deswegen nicht so viel Freizeit. Doch einiges habe ich schon gesehen. Ich wurde vom zentralen Kooperativmarkt “Komarowka” sehr beeindruckt. So große Fleisch- und Geflügel-, Gemüse- und Obsthandelsmärkte habe ich noch nie gesehen. In Deutschland ist es üblich, Lebensmittel in großen Umfängen vor den Festen einzukaufen. Bei Ihnen ist es ganz anders. Besonders hat mich der Reichtum der Fischbänke beeindruckt — so was habe ich sogar in der Hafenstadt Hamburg nicht gesehen.
“Und was sagen Sie über die belarussische Kochkunstschule?”
“Auch tiefe Eindrücke. Wissen Sie, wegen der Zeitsparung hat man im Westen schon längst an die Zubereitung aus Halbfabrikaten usw. gewöhnt. Sie benutzen aber nach wie vor Primärprodukte”.
“Und was haben deutsche und belarussische Köche gemeinsam?”
“Eine ziemlich weite Kartoffelanwendung bei der Zubereitung. In der deutschen Küche kann man auch Gerichte finden, die Ihren berühmten Draniki, Reibekuchen in Töpfen ähnlich sind. Belarussen, wie auch Deutschen, schätzen auch Speisen aus Schweinefleisch”.
“Was bedeutet richtige und gesunde Nährung deutscher Art?”
“Bei Ihnen habe ich so eine Massenbegeisterung nicht bemerkt. Ich glaube, dass es deswegen ist, dass viele Menschen körperlich arbeiten und ihre Organismen durchaus fähig sind, kalorienreiche Lebensmittel zu verdauen. Die meisten Deutschen haben ja Sitzarbeit. Sie kommen in ihre Büros und bewegen sich sehr wenig während des Arbeitstages. Abends hocken sie wiederum vor den Fernsehern. Deswegen haben sie Gesundheitsprobleme.
Doch ich meine, dass sich jeder Mensch so ernähren sollte, dass er sich behaglich fühlt und keinesfalls vor Hunger, vor dem Wunsch, etwas zu essen, leidet, vom Kampf gegen sich selbst nicht abhängt”.
“Wissen Sie, mehrmals war ich in Deutschland, und ich habe einen Eindruck über die Deutschen bekommen, dass sie es sehr gern haben, nach der Arbeit oder am Wochenende Cafes, Restaurants mit ihren Nächsten, Freunden oder Kollegen zu besuchen, Bier zu trinken und zu schmausen. Wäre es möglich, dass die Deutschen heute immer weniger Bierpartys veranstalten?”
“Ich würde das nicht behaupten. Tatsächlich haben die Deutschen nach wie vor nichts gegen Kneipen in der Freizeit. Doch, wissen Sie, das Leben berichtigt selbst. Heute erlebt Deutschland nicht die besten Zeiten, und viele seine Einwohner sind gezwungen, sparsamer den Familienhaushalt auszugeben, sogar an Kleinigkeiten zu sparen und deswegen seltener Restaurants, Cafes, Bars zu besuchen. All das hauptsächlich, um Geld für zwei für jeden Deutschen heilige Sachen zu haben: ein eigenes Auto und Erholung, wünschenswert im Ausland. Und was Bier angeht, so ist es nicht überall in Deutschland ein Nationalgetränk. Am meisten trinkt man Bier in Bayern, und im Kreis der Stadt Frankfurt zieht man Apfelwein vor. Im Norden des Landes mag man Branntwein Korn”.
“Um einen berühmten Koch zu werden, sollte man eine angeborene Begabung haben oder kann man sich die Kochmeisterschaft aneignen?”
“Ich meine, dass sich der Kochberuf nicht so aneignen lässt, wie zum Beispiel der Anstreicher- oder Zimmermannberuf. Denn beim Bau eines Hauses sollen wir uns an bestimmte Regeln und Normen halten und davon nicht abweichen. Beim Kochen ist alles ganz anders. Das Wichtigste: Man sollte liebevoll zubereiten. Wenn du zum Herd gereizt, schlechtgelaunt trittst, so hast du wenig Chancen, dass die Kunden mit deiner Arbeit zufrieden werden”.
“Welche Rezepte haben Sie in Belarus erfahren?”
“Es ist mir sehr gefallen, wie bei Ihnen Soljanka, Borschtsch, Suppen zubereitet werden. In Deutschland gibt es diese Gerichte auch in den Speisekarten vieler Restaurants, doch bei Ihnen schmecken sie ganz besonders. Mir haben auch Ihre berühmten Draniki, einige Fischgerichte gefallen. Kurzum hat mich die belarussische Küche angenehm überrascht und erfreut”.
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